25-Millionen-Dollar-Witz-Deal im Gerichtsprozess Harvey Weinstein zahlt keinen Cent selbst – wir müssen reden!

So erschien Harvey Weinstein am 11. Dezember vor Gericht - ein trauriges Bild für die 30 Opfer.
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Ein leidender Blick, gebückt auf Krücken, jeder Schritt sticht selbst dem Zuschauer tief ins Mark - wenn Harvey Weinstein eines gelernt hat, dann, wie man sich in der Öffentlichkeit richtig inszeniert. Wer in einem solchen Aufzug zu einem wichtigen Gerichtstermin mit jeder Menge Presseauflauf erscheint – ohne sich auch nur annähernd mit Ordnern oder Tüchern vor den Kameras zu schützen - will in erster Linie eines: Mitleid erwecken. „Ich bin hier das Opfer. Seht ihr nicht, was ihr mir damit antut?“ – Sätze wie diese lassen sich aus seinem Gesicht so klar und deutlich lesen, dass es mich erschaudert. Ja, der Mann hat schweren Rücken, leidet noch immer unter dem schlimmen Autounfall im August. Aber eines muss man ihm auch lassen: Er versteht jede Menge von seinem Job, von Inszenierung, von Schauspielerei, von Dramaturgie. Und die letzte Klappe ist in diesem Stück noch lange nicht gefallen.
Denn: Harvey Weinstein hat einem 25-Millionen-Dollar-Deal zugestimmt, muss aber davon keinen Cent selbst an seine Opfer bezahlen.

Kommentar von Carolin Chytrek

Ein kurzer Rückblick

Was genau damals bei sogenannten „Business-Meetings“ in Hotelzimmern vor sich gegangen ist, wage ich mir nicht anzumaßen. Aber ich habe eine – sagen wir leise - Vermutung, wenn ich die schmerzvoll detaillierten Artikel und Anschuldigungen der unzähligen Frauen lese, die schildern, wie sie dem einst so gefeierten Hollywood-Mogul sexuell zum Opfer gefallen sind. Ja, sie kommen Jahrzehnte zu spät, ja es ist schon auffällig, dass plötzlich alle auf den rasenden Sexstory-ICE aufspringen – aber mal ganz ehrlich: Welche erfolgreiche, kluge Frau würde sich selbst freiwillig so erniedrigen, sich so zum Opfer machen und Menschen etwas vorgaukeln, was ihre komplette Persönlichkeit in anderem Licht erscheinen lassen könnte? Nur für ein bisschen Presse? Nur, um einen erfolgreichen Mann zu stürzen? Um Feminismus-Gegner gegen sich aufzubringen? Come on! Jede dieser Frauen hat eine bittere Geschichte zu erzählen – vielleicht sind einige von ihnen überzogen, vielleicht auch aneinander angepasst. Aber im Kern ausgedacht, sind sie garantiert nicht. Und mit seiner Entschuldigung in der "New York Times" hat sich Weinstein ja bekanntlich eh (noch einmal) nackig gemacht, die schmutzigen Fakten – wenn auch nicht ausgesprochen - auf den Tisch gepackt.

Seien wir ehrlich. Auch ich habe Kolleginnen im Entertainment-Genre, die schon einmal um ihre Position fürchten, für gleiche Gehälter kämpfen, sich mit einem Mann in einer Machtposition auseinandersetzen mussten. Und jeder von ihnen, von uns, hätte das passieren können, was den etwa 30 Damen des Weinstein-Case passiert ist. So oder so ähnlich. Weniger schlimm oder schlimmer. Das tut aber nichts zur Sache. Fakt ist: auch ich kenne Frauen, die garantiert vor Furcht gekuscht hätten, die nicht den Mut gehabt hätten, sich gegen Fehlverhalten aufzulehnen, die nach einer solchen Tat zu sehr mit sich selbst zu kämpfen hätten. Was man in einem solchen Fall garantiert nicht gebrauchen kann, ist ein viel zu milder Deal.

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Der Deal

25 Millionen Dollar, umgerechnet rund 22,5 Millionen Euro – das ist die Summe, die die 30 Frauen unter sich aufteilen dürfen. Als Wiedergutmachung? Um sich davon ein besseres Leben zu kaufen? Um damit ihre tiefen seelischen Wunden zu pflastern? Ich meine ganz ehrlich: mit 750.000 Euro lässt sich zwar einiges anstellen, eine schöne Reise, Shopping, der Kauf eines neuen Gefährts vielleicht. Außerdem hat man mit 750.000 Euro garantiert erstmal ausgesorgt. Ungeschehen lassen sich Weinsteins Taten damit aber nicht machen. Was die Frauen tatsächlich gebraucht hätten, für ihren inneren Seelenfrieden, wäre Genugtuung – und die wird ihnen in diesem Fall vehement verwehrt. Denn: Weinstein muss die Summe nicht einmal selbst zahlen. Klar, als Mega-Star kann man sich halt von jeder Last freikaufen – ist so gesehen – eh schon mehr wert als jeder „Normalo“. Wieso einen solchen Menschen dann auch noch richtig bestrafen?

Stattdessen wird die Summe aus Versicherungen seines Ex-Filmlabels (was sind das bitte für Versicherungen?) bezogen – und Weinstein kann sich heimlich ins Fäustchen lachen. Bald unter dem Tannenbaum vorerst seelenruhig besinnlich werden. Klar, im Umkehrschluss ist sein Ruf im Eimer, er wird von vielen missachtet und bekommt garantiert keine Jobangebote mehr – aber ist seine Zeit nicht eh vorbei? Und ganz ehrlich: DAS hat er sich ja sowieso selbst zuzuschreiben. Eine gerechte Strafe ist das aber noch lange nicht. Die 30 Frauen hingegen haben ihre Karriere zum Teil noch vor sich und werden bei jedem Engagement erneut mit zitternden Knien bei privaten Meetings erscheinen – wenn überhaupt. Ist das Gerechtigkeit? Nope!

30 Frauen mundtot gemacht

Und noch was: Mit 750.000 Euro werden die Damen mundtot gemacht – ihre Fälle sind nun offiziell abgehakt, zu den Akten gelegt, mehr können sie nicht erwarten. Das einzig sinnvolle, was sich für sie mit den 750.000 Euro anstellen lässt, um endlich mit dem Kasus abschließen zu können, wäre ein Psychiater, eine Therapie – die ihre Seele Stück für Stück wieder zusammensetzt. ihre Würde langsam zurückholt und ihnen das Fallenlassen von Grund auf neu lehrt. Denn all das hat ihnen der Mann genommen, der jetzt vorerst in Ruhe seinen Lebensabend und die Feiertage genießt – bevor im Januar der Hauptprozess zu zwei weiteren Fällen beginnt. Doch das ist eine andere Geschichte…

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